
Stressmanagement: Fabel schreiben
Manchmal ist ein Tiergleichnis hilfreich, damit Sie sich Ihrem Thema nähern können. Natürlich sind Stressmanager, die gerne schreiben, keine Poeten, doch darum geht es beim Stressabbau ja auch nicht. Es geht darum sich selbst auf die Spur zu kommen und seine Ressourcen zu nutzen.
Stressabbau-Fablen sind scheinbar harmlose Tiergeschichten, die mit einem Aha-Effekt bzw. einer Selbsterkenntnis enden. Das ist anders als bei den bekannten Fabeln wie z. B. Der Hase und der Igel, welche mit allgemeingültigen Belehrungen, Moralvorstellungen oder bürgerlichen Lebensweisheiten aufwarten.
Wie funktioniert das Stressmanagement durch Fabel schreiben?
Was ist momentan der Grund für Ihren Stress? Stellen Sie sich ein Thema. Dann erfinden Sie eine Tiergeschichte, in der das Thema gelöst wird.
Zur Veranschaulichung folgt eine Tiergeschichte, welche ich vor Jahren für eine Freundin geschrieben habe. Das Thema lautete: Verbesserung der Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den männerdominierten Kollegen am Arbeitsplatz.
Über die Tiergeschichte passiert ein Perspektivwechsel. Sie schauen quasi von außen auf Ihre Situation. Je mehr Abstand Sie zu Ihrer aktuellen Thematik gewinnen, um so mehr reduzieren sich Ihre Ängste bzw. Ihr Stresslevel. Meistens inspiriert Ihre Geschichte Sie zu neuen Verhaltensweisen. Probieren Sie diese aus. Gehen Sie neue Wege. Diese Übung ist besonders gut als Partnerübung geeignet. In diesem Fall schreibt Ihr Partner über Ihr Thema und umgekehrt.
Schreibbeispiel: Wie Pepita zu ihrer Lederjacke kam
Es war eine sternenklare Aprilnacht und der Mond schien hell, als Pepita den Weg über die Vorleine des großen Frachtschiffs nahm. Sie pflegte das immer so zu tun, wenn sie von Bord ging.
Das kühle Mondlicht spiegelte sich auf der silberig glänzenden Laderampe eines Lasters, der am Hafen stand und lud die kleine Schnecke zum Einstiegen ein. Sie kroch auf eine der vielen Kisten, die kreuz und quer im Laderaum gestapelt waren. Aus dem Augenwinkel sah Pepita eine dunkle Gestalt, welche die schweren Türen auf der Rückseite des Lasters schloss. Kurz darauf fuhr das Fahrzeug mit einem Ruck an. Pepita verlor das Gleichgewicht und verschwand durch einen schmalen Schlitz in einer Kiste. Sie fiel sanft und schlief erschöpft, von den Strapazen der langen Reise, ein.
Als sie im Halbdunkeln erwachte fand sie sich unter einer kleinen weißen Brücke wieder. Über ihr blühte ein wunderschöner Kirschbaum. Nicht weit entfernt befand sich im Schummerlicht ein Tempel, der mit vielen Lampignons beleuchtet war.
Während Pepita sich räkelte dachte sie verwundert: „Ich habe mir Japan längst nicht so schön vorgestellt.“ Sie gähnte genüsslich. Ihr Mund war trocken und sie verspürte einen starken Durst. Deshalb machte sie sich auf den Weg zum nahe gelegenen Bach. Pepita schaute enttäuscht drein, als sie feststellen musste, dass das Wasser versiegt war. Sie entschied sich ein saftiges Kirschblütenblatt zu verspeisen, um ihren Durst zu löschen, doch es schmeckte wie Pappe.
Im nächsten Moment ging ein grelles Licht an und zwei Männer trugen einen Steinbrunnen herbei, als ob er federleicht wäre. „Das ist ja ein Ding“ ging es Pepita durch den Kopf. Ich bin gar nicht in Japan, ich befinde mich auf der Bühne eines Theaters in dem nur ein Stück über Japan gespielt wird.
Der eine Mann fing an zu sprechen: „Dieses schöne japanische Bühnenbild von der Oper Madame Butterfly hat nun ausgedient. Es ist das älteste in unserem Theater, nämlich von 1967!
Die weiße Brücke habe ich mir schon für meinen Garten reservieren lassen. Ich lege mir jetzt einen Teich mit japanischen Koy-Fischen an. Meine Frau ist total von dieser Idee begeistert.“
„Na dann hast du ja in der Sommerpause einiges vor“, erwiderte der Kollege. „Ich mache wieder Urlaub auf Mallorca“ verhallten die Stimmen hinter dem Tempel.
Pepita war erleichtert. „Und ich dachte schon ich hätte mich vertan und das falsche Schiff genommen“, sagte sie zu sich selbst. Am Hamburger Plattdeutsch, das die Männer sprachen, war nun eindeutig klar, dass Pepita keinen Fehler gemacht hatte. Wie geplant war sie tatsächlich in Hamburg gelandet, es war nur das Bühnenbild, das sie im ersten Moment verwirrt hatte.
Von hier aus wollte sie ihre Reise nach Südafrika fortsetzen.
Pepita schaute sich ein wenig im Theater um. Sie bestaunte noch zwei weitere Bühnenbilder. Eines vom Ballett Das schlecht behütete Mädchen und eines von der Kinderoper Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck.
Dann bahnte sie sich ihren Weg durch das Schuhlager des Theaters, in dem sage und schreibe 12.000 Paar Schuhe aufzufinden waren. Dort konnten sich die Schauspieler nach Herzenslust bedienen. Es gab Schuhe in jeder Farbe und in jeder Größe. Die Kinderschuhe wurden in einem besonderen Schrank aufbewahrt. Als Pepita bei den aufwendigen Kostümen aus der frühen Barockzeit vorbei kam, hörte sie eine Frauenstimme sagen, dass am kommenden Samstag ein Theaterflohmarkt sei. Die prachtvollen Kostüme konnte jedermann zu Preisen zwischen 50 und 200 Euro erwerben. „Was es nicht alles gibt“, wunderte sich Pepita. Wenn ich bleiben könnte, dann würde ich mich zu gerne mit einem Kostüm verkleiden. Die kleine Schnecke verließ aber das Theater und genoss den heftigen Wind oder die steife Brise, wie das auf Plattdeutsch heißt, als sie in die Kirchallee einbog.
Nach diesem Abenteuer war es Zeit zum Hafen zurückzukehren. Pepita suchte sich ein passendes Schiff aus, mit dem sie als blinder Passagier reisen wollte. Sie machte sich über die Vorleine bereit zum Einsteigen, als sich ihr ein freches Streifenhörnchen in den Weg stellte.
„Tut mir Leid, das Schiff ist voll“ sagte es arrogant und plusterte sich auf. Die kleine Pepita stand unter Schock. „Da drinnen scheint noch reichlich Platz zu sein“ entgegnete sie tapfer, denn das Streifenhörnchen war ziemlich respekteinflößend. „Tut mir Leid, das Schiff ist voll“, wiederholte das Streifenhörnchen erneut. „Da drin scheint mir noch reichlich Platz zu sein“, wiederholte nun auch Pepita, mit fester Stimme. Das Streifenhörnchen plusterte sich noch mehr auf und machte sogar Anstalten Pepita von der Vorleine zu schupsen, damit sie ins Wasser fallen sollte. Die kleine Schnecke zog den Kopf ein und gab sich geschlagen. Sie trat enttäuscht, aber auch empört den Rückzug an. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, so sehr hatte sie es mit der Angst zu tun bekommen.
An der Kaimauer angekommen, setzte sie sich ratlos hin und starrte aufs Wasser.
Sie hatte noch drei Stunden Zeit, um sich etwas einfallen zu lassen. Dann sollte das Schiff auslaufen und Pepita wollte unbedingt an Bord sein. Nur wie konnte sie dem feisten Streifenhörnchen die Stirn bieten? Das offene Meer war ihr Ziel. Sie träumte gerade von Südafrika, als das Tuten eines Touristendampfers sie aus ihren Gedanken riss.
Die Menschen gingen an Land, lachten und hatten glückliche Gesichter. Ein kleiner Mann stieg mit seinen Freunden aus und diese Freunde, die alle einen Kopf kleiner waren als er, hatten einen Mordsrespekt vor ihm. Pepita merkte es deshalb, weil er den Ton angab. „Jetzt holen wir uns alle ein Krabbenbrötchen“ bestimmte er und seine Kumpels folgten ihm.
„Wie hat der Winzling das gemacht?“ wunderte sich Pepita. Sie schaute den Männern nach, als sie in Richtung Landungsbrücken liefen. Plötzlich kam ihr eine Idee.
In Hamburg gibt es ein Schneckentheater. Als Pepita dort vorbei ging, war ihr ein Plakat aufgefallen. Gestern war die letzte Aufführung des Musicals West Side Story. Pepita summte vor sich hin: „When you´re a jet, you´re a jet, you’re a jet”, als sie geradewegs auf das Theater zusteuerte. Die JETS sind eine Straßengang und Pepita fühlte sich jetzt schon so cool, als wäre sie das Mitglied dieser Rockergruppe.
Im Theater angekommen, fragte sie sich zuerst zur Künstler-Garderobe durch, in der noch die Kostüme vom Vorabend hingen. Dann fragte sie die Schneidermeisterin, ob sie wohl eines der Kleidungsstücke bekommen könne. Pepita erklärt ihre bisher aussichtslose Lage und die Schneiderin hatte Mitleid mit ihr. Mit Eifer beriet sie Pepita zu ihrem neuen Kleidungsstil. Die kleine Schnecke bedankte sich artig und versprach eine Postkarte aus Südafrika zu schreiben. Eilig glitt sie aus der Tür. Von einem der Schauspieler lieh sie sich noch schnell ein Motorrad aus, denn die Zeit drängte. Das Passagierschiff sollte in dreißig Minuten ablegen.
Aus der Ferne sah Pepita, dass das Schiff bereits für den Ablegevorgang vorbereitet wurde. Sie sauste die Vorleine hoch, auf der das feiste Streifenhörnchen mit seinen weit aufgerissenen Kopfaugen ihr schon entgegen sprang und aus der Ferne schrie: „Tut mir Leid, das Schiff ist voll.“ Pepita drehte sich auf dem Absatz herum. Nicht um zu fliehen, nein, ganz im Gegenteil, nur um ihre neue schwarze Lederjacke in vollem Umfang zu präsentieren. Auf dem Rücken stand mit großen Buchstaben „JET“ und Pepita war stolz darauf sich wie ein Jet zu fühlen.
„Platz da“, rief sie, so wie ein Jet das tun würde. „Jetzt komme ich!“ Dann duckte sie sich und rauschte mit Volldampf zwischen den Beinen des Streifenhörnchens hindurch. Sie glitt geschickt durch die Luke des Schiffs, schaute sich um, suchte sich den schönsten Fensterplatz und breitete sich gemütlich aus.